Joachim Breitner

Nach der Wahl

Published 2016-11-15 in sections Deutsch, Philadelphia.

„Wie sieht’s aus in Trump-Land?“

Gute Frage. Ich kann ja mal ein paar Eindrücke schildern.

Wahlkampf

Anfangs war alles noch nett und lustig. Mit Arbeitskollegen schaute ich das erste Fernsehduell zwischen Clinton und Trump. Es wurde viel getrunken, vor allem wenn Trump den Mund aufmachte, aber insgesamt machte Hillary Trump fertig. Sah also gut aus.

Auf Facebook (und den auf Facebook verlinkten Medien) wurde sich über Trump’s Persönlichkeit ausgelassen, und ich wundere mich, warum so wenig über seine Politik geredet wird – lieber ein Arschloch als Präsident, der das richtige macht, als ein Traumschwiegersohn mit den falschen Zielen, würde ich sagen – aber wohl zurecht wurde ich darauf hingewiesen, dass man auf seine Wahlversprechen eh nichts geben kann. Trotzdem halte ich fest dass die Übermoralisierung des Politikers hier weiter fortgeschritten ist als in Deutschland.

Die letzte Woche vor der Wahl war überraschend ruhig. Die Prognosen sahen gut aus (Gewinnwahrscheinlichkeit für Clinton war bei ⅔). Viele meine Kollegen beteiligten sich ehrenamtlich am Wahlkampf, klingelten Telefonlisten durch oder marschierten von Haus zu Haus. Dabei geht es nicht darum, Wechselwähler oder gar Trumpwähler umzustimmen, sondern lediglich, die demokratisch gesinnten Wähler auch zum Wählen zu kriegen.

Wahltag

Am Wahltag war – soweit ich das erkennen kann – gerade zu heitere Stimmung. Das Wetter war gut, und auf dem Campus trug jeder stolz seinen „I voted“-Aufkleber auf der Brust, den man hier bekommt. Man fragte sich gegenseitig, ob man schon wählen war.

Abends verfolgte eine Freundin und ich das Geschehen in einer Kneipe hier in West-Philadelphia, es lief CNN. Als verkündet wurde, dass Michigan an die Republikaner ging, war ihr klar, dass hier etwas gewaltig schief lief. CNN berichtete noch von neuen Meldungen aus den verschiedenen Staaten, aber die Prognose auf nytimes.com sagte schon eine Wahrscheinlichkeit von >95% für Trump. Die Wahl war gelaufen, und sie lief anders als von allen in meiner Umgebung hier erhofft, und auch anders als erwartet. Für mich fühlte es sich wie eine Wiederholung des Brexit-Wahlabends an. Auch Pennsylvania kippte und wählte insgesamt für Trump. Wir hatten keine Lust mehr auf Kneipe und verzogen uns.

Nach der Wahl

Selbst das Wetter war deprimiert. Davor noch herrlich sonnig, war es jetzt plötzlich kalt und regnerisch. Tränen hier in meiner WG. Eine Mitbewohnerin macht sich Sorgen um ihre Krankenversicherung wenn Obamacare gestrichen wird. An der Uni gedrückte Stimmung. Auf Facebook gingen die Emotionen um. Freunde luden Freunde zum gemeinsamen Wundenlecken ein.

Am zweiten Abend gab es in der Innenstadt Protestmärsche gegen Trump mit mehreren Tausend Teilnehmern. Gleichzeitig gab es Berichte über sogenannte „hate crimes“ im ganzen Land (eine von Schwarzen genutzte Kirche wurde noch vor der Wahl abgefackelt, weitere andere nach der Wahl beschmiert und in Philadelphia (Hakenkreuz-Graffiti und Nazi-Sprüche an Wänden, sexistische Sprüche in die Autofenster einer Professorin geritzt). Facebook-Freunde von mir erkundigen sich nach geeigneten Kampfsportarten und Selbstverteidigungskursen um bei eventuellen Auseinandersetzungen ihre Freunde und sich selbst schützen zu können. Es werden Parallelen zu Deutschland nach dem ersten Weltkrieg und Hitlers Machtübernahme gezogen.

An der Universität werden schwarze Studenten per „GroupMe“ mit rassistischen Sprüchen überzogen. Große Aufregung mit mehreren Rundmails des Präsidiums an alle Mitglieder der Studenten, FBI eingeschaltet, und Ermittlungen in Oklahoma, wo die Täter wohl sind.

Eine andere Rundmail der Präsidentin an alle Mitarbeiter, dass einige Studenten jetzt nach der Wahl sicherlich eine schwere Zeit durchmachen, und an solle doch bitte nachsichtig und einfühlsam zu sein, und flexibel was Hausaufgaben oder so angeht.

Und ich?

Unmittelbar betrifft mich die Wahl von Trump nicht. Ich bin kein Muslim, ich bin kein Mexikaner, ich bin keine Frau, nicht Queer und ich bin legal hier. Noch fühle ich mich durch den Straßenverkehr und die in Deutschland sicherlich so verboten schmalen Treppen stärker bedroht. Mittelfristig macht mir die zu erwartende Klimapolitik und Trumps Einstellung zur NATO durchaus sorgen. Aber ich bin Optimist, vielleicht hat ein unberechenbarer US-Präsident eher einen Fukushima-Moment mit 180°-Wende als die Parteipolitikerin.

Ich finde es bedenklich, wie segregiert das Land hier ist. In Pennsylvania gibt es zwei große Städte, und hier habe ich kein einziges Trump-Schild in den Vorgärten gesehen. Keiner, den ich kenne, hat offen für die Republikaner gestimmt. Die knapp 50% der Wähler, die Trump an die Macht gebracht haben – wir kennen sie hier nicht, und sie kennen uns nicht. Das ist in Deutschland doch anders: Da gehen CDU- und SPD-Wähler gemeinsam zum Sport, auch ein Grünenwähler kennt vermutlich einen FDP-Anhänger, und selbst AFDler leben unter uns, und man kann mit ihnen reden. Ich wünsche den USA, irgendwie diese Spaltung zu überwinden und eine gesündere Demokratie zu entwickeln, vielleicht sogar eine mit Verhältniswahlrecht, vielleicht mit Wahlbeteiligung deutlich über 50%, besonders nach einem so kontroversen Wahlkampf. Man wird ja wohl noch träumen dürfen.

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