Joachim Breitner

Swing-Tanzen in Philadelphia

Published 2016-09-17 in sections Deutsch, Philadelphia.

Ich bin mal wieder unterwegs, diesmal auf dem Weg zur ICFP in Nara in Japan, und habe Zeit einen weiteren Bericht aus Philadelphia zu schreiben. Wie manchen versprochen erzähle ich heute, wie es mit Swing-Tanzen in Philadelphia aussieht.

Man könnte meinen ich hätte meine Wohnung strategisch günstig zum Swing-Tanzen gewählt, denn die beiden wöchentlichen Events sind in unmittelbarer Nähe:

Jazz Attack

Donnerstags findet in den Räumlichkeiten der University City Arts League Jazz Attack statt: Um 20 Uhr gibt es einen Kurs mit monatlich wechselnden Themen (im August waren es Turns, Tension und Stretch beim Charlston, jetzt im September lernen wir Balboa), stets parallel zu einer Einführung für absolute Anfänger. Einsteigen ist also jederzeit möglich. Die Kurse werden von Freiwilligen gehalten (und sind nicht ganz so lehrreich wie bei einer „richtigen“ Tanzschule). Mit 7 Dollar ist man dabei, und darf auch gleich zum Social bleiben, der von 21 bis 23 Uhr geht.

Jazz Attack

Das Gebäude ist – wie auch jenes in dem ich wohne – ein ganz normales Reihenhaus, geschätzt aus dem frühen 20. Jahrhundert. Das heißt man tanzt im 1. Stock auf schönem Parkett. Wenn im Kurs alle im gleichen Takt ihre Schritte machen, dann wackelt und rödelt die Schiebetür, und im Erdgeschoss sieht man die Decke zentimeterhoch beben und fragt sich, was da ein Statiker zu sagen würde. Aber es scheint zu halten.

Leider ist der Tanzraum nicht besonders groß, vielleicht so groß wie die reine Tanzfläche im Schlachthof in Karlsruhe, und jetzt, wo das Semester begonnen hat, wird es ziemlich voll. Die Organisatoren installieren zwar eine mobile Klimaanlage in einem der Fenster, aber gegen die Tänzer kann die nicht viel ausrichten. Immerhin gibt es gegenüber einen kleineren zweiten Raum, in dem man sich ein wenig abkühlen und auch besser unterhalten kann.

Clark Hop

Sonntags mittags von halb 1 bis halb 3 findet im Park direkt vor meiner Haustüre der kostenlose Open-Air-Social Clark Hop (ja, der im Hintergrund auf dem Titelbild der Seite bin ich) statt. Zumindest sofern das Wetter mitspielt – im August hat die Hitzewelle hier ein paar mal dafür gesorgt, dass es abgesagt werden musste.

Live-Musik im Clark Park

In der Regel wird der kleine Beton-Platz vor der Charles-Dickens-Statue von einer Boombox beschallt, doch schon zweimal seit ich hier bin spielte eine lokale Band auf, die sich ganz nonchalant auf der Parkbank zurecht macht und für gute Musik sorgt. Der Boden ist nur mäßig zum Tanzen geeignet, und meine guten Schuhe bleiben Sonntags zu hause (Karlsruher, eure Holzinsel am ZKM ist echt was wert!).

PILE

Letzten Samstag fand der jährliche Swing-Exchange Philadelphias mit dem etwas unvorteilhaften Namen PILE statt: Workshops von 10 bis 3 Uhr, dann Wettbewerbe (an denen nur Vollzeitstudenten teilnehmen durften, ich hatte also Pause, die ich nach 4 Stunden Workshop auch brauchen konnte) und abends ein Social. Wir tanzten in der Houston Hall, einem stattlichen Gebäude der University of Pennsylvania mit schön großem Saal. Ich habe am Advanced-Workshop teilgenommen, mit zwei Lehrern aus New York, und war auch entsprechend gefordert (Twenties-Charlston – nie gemacht!), aber nicht fehl am Platz. Leider ist auch bei den neuen Figuren da das Problem, dass ich sie schnell wieder vergesse.

Advanced-Kurs bei PILE

Bal Night

Jeden zweiten Freitag im Monat findet die Bal Night statt: Ort, Aufbau und Kosten wie Jazz Attack, nur dass Balboa getanzt wird. Nachdem jetzt bei Jazz Attack geschickter weise auch Balboa gelehrt wurde, kann ich mich in Zukunft öfter auf der Bal Night blicken lassen.

Blues

Diese ganzen Veranstaltungen werden vom Verein LaB (Lindy and Blues) organisiert, und so findet Montag abends in der Innenstadt Powerhouse Blues statt. Ich war bisher einmal dort, als ein Einstieg für Anfänger geboten wurde, und auch Blues macht Spaß. Weniger hektisch, mehr Improvisation. Ich werde es im Oktober wohl nochmal probieren.

Fun fact: LaB wurde von Carsie Blanton gegründet, von der man in Karlsruhe das Lied „Baby can dance“ kennt, von dem ich bis vor kurzem dachte, es wäre ein altes Lied.

Und wie ist es so?

Naja, Swing halt! Im Großen und Ganzen ist es nicht viel anders als Swing in Karlsruhe. Ein paar kleine Unterschiedegibt es:

  • Hier ist Ein-Tanz-Land. Das heißt, nachdem man mit jemandem getanzt hat und das Lied zu Ende ist, wird vielleicht noch kurz Danke gesagt und man macht sich wieder aus dem Staub. Karlsruhe ist ja tendenziell eher Zwei-Tanz-Land, wo man nach dem ersten Lied in der Regel noch ein zweites mit dem gleichen Partner tanzt.
  • Frauen fordern zwar auch hier seltener auf als Männer (soweit ich das einschätzen kann), aber trotzdem noch häufiger als in Karlsruhe.
  • Männerüberschuss (präziser: Leaderüberschuss) ist auch hier keine Seltenheit. Mist.
  • Ich vermisse die Atmosphäre des Socials im Schlachthof. Es ist einfach ein Unterschied ob 30 Tänzer ein einem schnöden Raum tanzen, und sonst nichts ist, oder ob 30 Tänzer in einem schönen Raum tanzen, in dem Tische stehen, mit einer Bar nebenan und normalen Menschen um einem herum. (Ein wenig Verklärung mag da sicher dabei sein, schließlich waren die Schlachthofsocials vor 2½ Jahren mein Einstieg ins Swingtanzen in Karlsruhe.)
  • Der Swingout wird hier deutlich mehr getanzt als in Karlsruhe (wobei das eigentlich mein Eindruck auch sonst war, wenn ich außerhalb Karlsruhes getanzt habe). Ich frage mich woran das liegt. Die Figur war lange meine Schwachstelle, und ist es immernoch, aber von mal zu mal klappt es besser.
  • Ohne Facebook geht hier gar nichts; alle Ankündigungen etc. laufen darüber. In Karlsruhe war es zwar auch so, dass ich vorwiegend wegen der Swing-Community nach vielen Jahren Verweigerung mich bei Facebook angemeldet hatte, um Mitfahrgelegenheiten und so nicht zu verpassen, aber zumindest alles „offizielle“ bekommt man über die Mailingliste mit.
  • Jam Circles gibt es für alle Geburtstage der letzten Woche (nicht nur für den Tag) und für alle auswärtigen Gäste. Gerade letzteres ist eine Tradition die ich euch in Karlsruhe sehr nahelegen will; da fühlt man sich als Gast gleich viel willkommener.
  • Es gibt in Philadelphia noch eine Swing-Szene, die sich wöchentlich weiter im Norden trifft. Anscheinend sind diese Szenen weitgehend disjunkt und dort eher ältere. In Karlsruhe sind wir da nicht so.
  • Mein Vorname ist absolut ungeeignet, um damit in den USA zu leben, und der Geräuschpegel beim Social macht es noch sinnloser, wenn ich versuche, die richtige Aussprache vorzumachen. Daher zeige ich die richtige Schreibweise und Aussprache yo-AH-kheem auf meinem Handy (per screen-message), das klappt ein wenig besser.

Ich tanze zwar weiter vorwiegend mein übliches Programm (der Fluch der Leader – man lernt auf Socials nur schwer neue Figuren), aber bis zum Jahresende wird sich sicherlich die eine oder andere neue Figur eingeschlichen haben. Sollte es in Karlsruhe wieder einen Silvesterswing geben, so stehen die Chancen gut dass ihr sie mich dort tanzen sehen könnt.

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