Joachim Breitner

Eine Woche Philadelphia

Published 2016-08-05 in sections Deutsch, Philadelphia.

Es ist wieder Freitag, und ich sitze wieder in einem Zug. Letzte Woche war es der ICE nach Philadelphia (mit einmal Umsteigen am Flughafen Frankfurt), jetzt ist es der Amtrak Northeastern Regional train nach Boston, wo ich übers Wochenende eine Freundin besuche. Erzählen will ich jetzt aber nicht von Boston, sondern von meiner ersten Woche Philadelphia.

Die Wohnung

Nach dem dank Premium-Economy-Platz (günstiger als ein Economy-Flug mit zusätzlichem Freigepäck) recht angenehmen Flug und einer Stunde unnützem Warten in der Schlange vor der Passkontrolle erreichte ich am späten Nachmittag per Taxi mein neues Zuhause im Westen von Philadelphia. Es war heiß, schwül und unangenehm schwitzig.

Der Schlüssel lag – wie vereinbart – im Briefkasten. Der erste Eindruck des Wohn- und Esszimmers war mäßig: Geräumig, aber es stand viel Krempel herum.

Anders mein Zimmer: In dem als „möbliert ohne Bett“ beworbenem Zimmer stand weniger herum als erwartet. So war da zwar ein kleiner Schreibtisch, aber kein Stuhl dazu. Was auch nicht da war war die aufblasbare Luftmatratze meiner Mitbewohnerin, die mir versprochen hatte, diese in das Zimmer zu legen.

Ich spazierte noch einmal die Baltimore Avenue entlang und kaufte bei einem genossenschaftlich betriebenen und ökologisch angehauchtem Supermarkt das nötigste (Tee, Milch, Oatmeal).

Aber bald machte sich die Müdigkeit breit (gefühlt war es ja bereits vier Uhr morgens). Ich hatte zwar kein Bett, aber zum Glück hatte ich Isomatte und Schlafsack mitgenommen. Die breitete ich aus, steckte als Kissen einen Pulli in einen Stoffbeutel, und legte mich schlafen. Wegen Hitze und unbequemer Matratze schlief ich allerdings nicht ein, und kurz drauf klopfte es an meiner Tür: Jene Mitbewohnerin zeigte sich und brachte mir die Luftmatratze. Dank elektrischer Pumpe war diese auch schnell einsatzbereit, so dass ich die erste Nacht doch auf etwas halbwegs bettähnlichem verbringen konnte.

Am nächsten Tag oder, besser, in der nächsten Nacht machte sich der Jetlag noch deutlich bemerkbar. Ich schlief nur bis zwei Uhr morgens (ich bin die letzten Jahre wohl zu regelmäßig um acht Uhr aufgestanden). Ich versuchte dann noch so gut es geht zu dösen, aber um vier Uhr war ich endgültig zu wach und begann, Zeug am Rechner zu erledigen.

Als es dann wirklich Morgen war und ich gefrühstückt hatte (und ich die Theorie aufgestellt habe, dass dort wenige Leute den Schwarztee zum selber abfüllen kaufen, er daher entsprechend lange in dem Laden stand und so etwas an Geschmack verloren hat) machte ich mich auf den Weg, die wichtigsten ersten Erledigungen zu machen: Erst eröffnete ich ein Bankkonto, was erstaunlich unproblematisch war, zumindest solange mir die Debit-Karte reicht. Dann ging es zum IKEA. Bisher habe ich IKEA gemieden und versucht, bei Einzelgeschäften oder kleineren Ketten zu kaufen, aber in dem Fall überwog die Bequemlichkeit, zu einem Laden zu gehen, wo ich ungefähr weiß, was mich erwarte, wo ich alles bekomme was ich brauche und der mir die Einkäufe nach Hause liefert.

Ich brauchte etwa eine Stunden mit dem Bus von West Philadelphia zum IKEA in Süd-Philadelphia, und besorgte mir ein Bett, eine Matratze, eine Decke, Kissen, Bezüge, einen Schreibtischstuhl und ein Bücherregal. Das zu finden brauchte auch nur kaum länger als das Warten am Schalter der die Nach-Hause-Lieferungen entgegennimmt. Aber das Warten zahlte sich aus: Nicht nur dass die Möbel für nur 40$ noch am gleichen Tag geliefert werden, auch entdeckte der Mitarbeiter auf dem Kassenzettel dass mir der Bettrahmen doppelt berechnet wurde, und der Fehler lies sich korrigieren.

Mit der Ansage, dass „zwischen fünf und neun Uhr“ meine Möbel geliefert werden, und einem großen Beutel mit allen kleineren Artikeln, die sie nicht liefern wollten in der Hand machte ich mich auf dem Weg zur Bushaltestelle. Kurz vor fünf war ich dann zu Hause und wartete gespannt ob das mit der Lieferung klappt. Tatsächlich: Halb 9 fuhr ein Laster vor und mir wurden meine Möbel ins Haus gestellt.

Hammermäßiges Werkzeug

Erfreut, nicht noch eine Nacht auf der Luftmatratze schlafen zu müssen machte ich mich an den Zusammenbau. Ich hatte in meiner IKEA-Unerfahrenheit nicht bedacht, dass man sogar für IKEA-Möbel eigenes Werkzeug braucht (also, Schraubenzieher und Hammer) und musste auf mein Taschenmesser sowie – als Hammerersatz – einen Fahrradständer, den ich im Krempel im Wohnzimmer fand, zurückgreifen. Zumindest bis meine Mitbewohnerin dann doch zumindest einen Kreuzschlitz-Schraubenzieher fand. Bei insgesamt über 150 Schrauben wäre das mit dem Taschenmesser auch auf Dauer recht unangenehm geworden.

Es dauerte bis nach 11 Uhr bis das Bett dann endlich stand. Ich hatte immernoch vom Jetlag, und während ich die letzten Schrauben reindrehte musste ich aktiv verhindern, dass mir die Augen zufielen. Als das Bett fertig gebaut, und das Bettzeug aufgezogen war, schlief ich dann auch schnell, und immerhin ein wenig länger als die Nacht zuvor (ich glaube bis um 6?).

Die restlichen Möbel baute ich dann am Sonntag auf. Ich habe ein paar Bilder des fertigen Zimmers gemacht.

Stillleben mit Tux

Mein erster Eindruck der Wohnung trog übrigens: Am Mittwoch Abend gab es ein Treffen der Bewohner und wir misteten Kühlschrank, Küche, Esszimmer und Wohnzimmer aus. Nun macht das Haus einen ganz wohnlichen Eindruck. Mit der Truppe – aus drei Frauen und drei Männern, wobei einer noch nicht eingezogen ist – scheine ich gut zurecht zu kommen. Es besteht wohl prinzipiell Interesse an Brettspielen (und wenn ich Sonntag Abend nicht zu früh zu müde gewesen wäre, hätten wir wohl was gespielt), wir haben einen Gruppenchat eingerichtete (wofür ich noch einen Instant Messenger installieren musste, Group me in diesem Fall), einer war beim Swing-Tanzen dabei und eine weitere will auch mal mit. Von gemeinsam Kochen war zumindest mal die Rede (und ich werds mal mit Käßspätzle probieren).

Die Uni

Aber ich bin ja nicht wegen einer netten WG hier hergezogen, sondern um als Post-Doc an der University of Pennsylvania zu arbeiten. Also begab ich mich Montag früh zu Fuß in das Gebäude mit meinem Büro, der sogenannten Levine Hall. Von meiner Wohnung aus sind es 20 Minuten zu Fuß, Fotos von meinem Arbeitsweg habe ich bereits hochgeladen.

Dort angekommen schaute ich erst bei der Sekretärin des Lehrstuhls vorbei, die mich in mein schönes zwei-Mann-Büro mit großem Fenster und Blick zum Innenhof führte. Auf dem Schreibtisch stand bereits mein neuer Laptop, für den ich eine Woche vorher meine Wunschkonfiguration gemailt hatte. Auch lag da der Schlüssel, die Mitarbeiterkarte, meine Zugangsdaten fürs Uni-Netz und ein Stapel an den üblichen Formularen, wobei die Daten, die der Personalabteilung bereits bekannt waren, schon vorausgefüllt waren. Ich bekam noch eine kurze Tour zu Küche und Kopierraum, und schon konnte ich loslegen.

Pustekuchen.

Dort angekommen schaute ich erst einmal bei einer Mitarbeiterin der Verwaltung vorbei, die mir die freien Schreibtische zeigen sollte. Allerdings war ich (Jetlagbedingt) mit halb 9 etwas zu früh, und lümmelte eine halbe Stunde herum, bevor dann jemand kam und mir meine Möglichkeiten zeige.

Zuerst ein Schreibtisch im Nachbarflügel, zwei Stockwerke tiefer als meine Gruppe, in einem langgezogenem Zimmer, in dem mehrere Reihen kleiner Schreibtische reingequetscht wurden. Am schmalen Ende ein Fenster, recht groß, aber über Kopfhöhe. Nein Danke. Als nächstes ein Schreibtisch, im gleichen Stockwerk wie meine Gruppe, aber drei Flure weit weg, in einem Zimmer ohne Fenster und 4 Plätzen drin. Ein wenig besser.

Dann fragte ich nochmal ausdrücklich nach Zimmer 513 oder 514, wo die anderen Post-Docs und Doktoranden meiner Gruppe sitzen. Sie ging in ihr Büro zurück, ging ein paar Ausdrücke durch und tatsächlich, in 514 ist wohl gerade jemand fertig geworden. Und das wurde es dann – aber warum nicht gleich?

Hässlich ist es leider trotzdem: Ein geschätzt 5m×10m großes Zimmer, mit Trennwänden in zwei Quadrate geteilt, und in jedem Quadrat in jeder Ecke ein Arbeitsplatz gepackt.

Meine Ecke

Formulare waren natürlich auch keine vorausgefüllt. Ich ging also zur Personalabteilung, füllte dort eine Hand voll Zettel aus, und gab sie ab. Nachdem diese dann bearbeitet wurden (am Donnerstag) stellten sie fest dass ein Zettel fehlte, den ich zwar am Montag dabei hatte, aber da keiner haben wollte. Den brachte ich dann am Freitag. Im Gegenzug gab es ein Formular, mit dem ich zur PennCard-Ausgabestelle ging und meine Mitarbeiterkarte bekam. Wieder im Büro wollte ich damit meinen Uni-Zugang einrichten, und erfuhr, dass ich dazu erst mit meiner PennCard bei der PennCard-Ausgabestelle vorbeischauen muss, um ein Registrierungscode zu erhalten… Es stellt sich die Frage, warum dir mir nicht gleich gesagt haben „Hier ist Ihre PennCard, brauchen Sie auch einen Uni-Zugang?“. Also wieder hin, in der Schlange gewartet, Zugangscode erhalten, wieder an meinen Laptop, und endlich meinen sogenannten PennKey erhalten – es war sogar noch joachim frei. Damit konnte ich jetzt den Benutzeraccount an der Fakultät beantragen, und wenn der dann nächste Woche da ist kann ich so langsam richtig arbeiten (Webseiten für die Vorlesung, die ich halten werde, einrichten und solche Sachen).

Apropos Arbeiten: Mein neuer Dienst-Laptop ist noch lang nicht da, das dauert noch zwei Wochen oder so. Ich verwende also noch den aus Karlsruhe, den ich netterweise ein wenig länger benutzen darf. Und Internetzugang hab ich auch nur dank eduroam (dem weltweiten WLAN-Verbund für Akademiker) und meinen Karlsruher Zugangsdaten. Hätte ich das nicht, ich könnte so ungefähr gar nichts machen.

Alles in allem habe ich nicht das Gefühl, ein willkommener, gebrauchter und geschätzter neuer Mitarbeiter zu sein, sondern eher wie ein Besucher, dem die Uni gnädigerweise erlaubt, sich in einer Ecke, die gerade frei ist, einzurichten und den man sonst sich selbst überlässt. Aber ich befürchte dass es einfach keine gut organisierte Verwaltung ist und es vermutlich auch neuen Professoren so ergehen würde (mal abgesehen von den hässlichen Schreibtischen: Die haben schöne Büros mit große Fensterfront).

Immerhin sind die Kollegen (wenn auch über mehrere Büros verteilt) soweit nett und umgänglich, und meinen Ambitionen, ein gemeinsames Mittagessen draußen zur Institution zu machen, offen gegenüber. Es gibt hier, soweit ich das sehe, keine Mensa wie ich sie kenne. Die Hälfte der Mitarbeiter bringt sich Essen in Tupperdosen mit und wärmt es in der Mikrowelle auf, die andere geht raus und zu einem der vielen Foodtrucks (= mobile Imbissbuden), die Essen verschiedener Art in mit der Mensa vergleichbarer Qualität anbieten. Letztes produziert pro Mahlzeit leider mindestens eine Plastiktüte, ein Plastik- oder Styropor-Behälter und eine Plastikgabel an Müll.

Philadelphia

Mangels fahrbarem Untersatz (ein neues Fahrrad wurde bestellt und werde ich nächste Woche in Betrieb nehmen; ich werde berichten) ist mein Radius bisher auf den Campus und mein westlich angrenzendes Viertel begrenzt. Aber fürs erste genügt das und ich komme auch zu Fuß gut genug rum, wenn nicht gerade eine Straßenbahn kommt und ich diese nehme.

Der öffentliche Nahverkehr ist soweit in Ordnung. Es gibt ein paar Straßenbahnen (davon eine direkt von vor meiner Haustüre zur Uni) und in Philadelphia insgesamt viele Buslinen. Manches wirkt allerdings etwas undurchdacht:

  • Es gibt meines Wissens keine Karte von Philadelphia mit allen Buslinien drauf, weder Online und erst recht nicht an den Bushaltestellen, wo man sie erwarten würde. Für jede einzelne Buslinie gibt es Karten online, aber die kann ich ja schlecht alle anschauen. Wie ich von West Philadelphia zum IKEA komme habe ich nur per Google herausgefunden.

  • Die verschiedenen Straßenbahnen fahren in der Stadtmitte und auf dem (genauer: unter dem) Campus auf der selben Strecke und fächern sich dann gen Westen auf. Die Straßenbahnnummer steht allerdings nur vorne am Wagen, von der Seite sehen sie alle gleich aus. Wenn man also in der unterirdischen Campus-Station sitzt, wartet und vielleicht ein Buch liest, muss man trotzdem jede einfahrende Bahn rechtzeitig anschauen und die Liniennummer lesen, sonst weiß man nicht, ob man einsteigen soll oder nicht. Es gibt zwar eine Digitalanzeige in der Station, aber die zeigt den Namen der Station an, und nicht etwas wann die nächste Bahn kommt, und welche das ist.

Welche Bahn kommt da jetzt?

Es fällt auch auf dass die Zusammensetzung der Bevölkerung sehr davon abhängt, wo man gerade ist. Im IKEA ist es so bunt gemischt ist, wie man es von einer amerikanischen Großstadt erwartet. Im Bus auf dem Weg zum IKEA waren es fast nur Schwarze, die tendenziell eher ärmer wirken. Auf dem Campus laufen wiederum deutlich mehr mit asiatischem Ursprung herum. Mein Wohnviertel scheint ein Gentrifizierungs-Schauplatz zu sein: Restaurants, Hippe Cafes, alternative Läden, Eismanufakturen, aber je weiter nach Osten (weg vom Campus) man kommt, desto heruntergekommener die Gegend. Irgendwo da war mal ein RadioShack (eine allgegenwärtige Elektronik- und Technikkette), und das Schild war auch noch auf dem Gebäude, aber drin war ein Krämer mit Sofas, Kabeln, Lautsprechern und weiß nicht was. Hier laufen mehr „kaputte Gestalten“ herum und ich wurde mehrfach angebettelt. (Aber alles noch so dass zumindest ich mich nicht unwohl oder unsicher gefühlt habe.)

Ein erstes Fazit

Bisher muss ich sagen dass das noch keine Verbesserung meiner Gesamtlebenssituation ist, eher im Gegenteil. Ich hatte es mir nach 12 Jahren in Karlsruhe halt doch ganz gut eingerichtet gehabt. Aber übernächste Woche kommt meine Chefin aus dem Urlaub, und kurz darauf beginnen die Vorlesungen. Wenn ich dann erst mal etwas vernünftiges zu tun habe und mich ein wenig eingelebt habe, kann das ja noch was werden.

PS: Es kamen beide Pakete an. Das erste war schon da als ich kam, aber da nur das eine da war, und dieses vom Transport recht lädiert war, habe ich für das schon schwarz gesehen, aber eine Woche stand auch das auf der Veranda. Immerhin.

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